Magical-Girl-Anime-Serie von Shaft.
Karten auf den Tisch: Ich bin kein Anime-Mensch und kann mit den Mangas und Serien da draußen in etwa so viel anfangen wie mit einem durchnässten Telefonbuch von ’78. Ich bin zwar mit diversen Pokemons und Dragonballs aufgewachsen, habe aber irgendwann wohl beschlossen, dass japanischer Zeichentrick nicht meine Welt ist. Schuld daran sind wohl kulturelle Barrieren und eine persönliche Abneigung gegen die Ästhetik der gängigen Zeichenstile. Exponat 1 soll heute das Bild über diesem Beitrag sein: Dort sehen wir bis zum Erbrechen verniedlichte Schulmädchen, die in Kleidung und Mimik auf gruselig-unangenehme Weise in ihrer Unschuld fetischisiert werden. Während die kurzen Röcke und farblich sortierten Frisuren mit viel Detailarbeit gestaltet wurden, sind die Gesichter kantig-geometrisch, merkmallos und komplett austauschbar. Und natürlich darf auch das Fantasie-Schoßtier nicht fehlen, welches möglichst viele Merkmale von niedlichen Tierbabys miteinander kombiniert, um maximale Marktwirksamkeit zu erreichen. So weit, so würg.
Stellt euch also mein Entsetzen vor, als meine Freundin mir diesen scheinbar seelenlosen Sailor Moon-Aufguss vor die Nase knallte und der Meinung war, davon jetzt zwölf halbstündige Folgen mit mir gucken zu müssen. Nach einem kurzen Ringen mit meinem Fluchtreflex willige ich also ein, mir die erste Folge anzutun. Und im Rahmen von zwei Tagen schauten wir den ganzen Rest. Denn Madoka Magica ist nicht nur nicht scheiße, sondern… gut? Ganz schön gut? Sogar clever und subversiv?
Aber von vorne: Die Serie folgt der Schülerin Madoka (Ah, das erklärt schonmal ein Viertel von diesem Auffahrunfall von Titel!) und ihren Mitschülerinnen, welche vom oben genannten magischen Plüsch-Schoßtier Kyubey nach und nach mit Zauberkräften und passenden Kostümchen zum Kampf gegen böse Hexen ausgestattet werden. Doch Madoka weigert sich zunächst, die angebotenen Zauberkräfte anzunehmen. AH! Ich werde gegen meinen Willen gezwungen, eine positive Rezension von kitschiger Animu-Scheiße für Mädchen zu schreiben! Schickt Hilfe! Ähem. Madoka Magica fällt also den großen Kirschblütenbaum der Magical Girl-Klischees hinunter und nimmt auf dem Weg wirklich jeden einzelnen Ast mit. Aber dann… nimmt die Serie auf einmal eine Reihe drastischer Wendungen, die mir ein freudiges Grinsen ins Gesicht zauberten. Um also darauf einzugehen, warum die Serie denn nun gut ist, muss ich ein paar Dinge spoilern. Nicht das Finale, aber schon recht wichtige Dinge. Wenn dieser Mist für euch gut klingt, schaut euch mal ein paar Episoden an. Wenn nicht, willkommen im Klub, lest ruhig weiter.
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Das große Geheimnis: Das freundlich-einladende, zuckersüße Bild- und Werbematerial ist eine sorgfältig konstruierte Lüge. Selbst der gezwungen niedliche Vorspann schustert frei erfundenes Material zusammen, um diese Illusion aufrecht zu erhalten. Der Clou von Madoka Magica ist nämlich, dass die Serie diese Klischees als Taschenspielertricks, als Ablenkung nutzt, um den nichts ahnenden Anime-Freund schnurstracks in eine kompromisslos harte Dekonstruktion des Genres hineinlaufen zu lassen. Kurz gesagt macht diese Serie das mit Magical Girls, was Alan Moores Watchmen so effektiv mit Superhelden gemacht hat. Sie betrachtet diese klassischen Archetypen auf einer persönlich-psychologischen Ebene und stellt die entscheidende Fragen: Was für Menschen sind das? Was stellt ihre neue Aufgabe emotional mit ihnen an? Und Madoka Magica beantwortet diese Fragen sehr direkt, indem es mit Trauma und Tod nur so um sich wirft.
Die Magical Girls sind nämlich nichts weiter als leicht manipulierbare Kindersoldaten, die von Wesen wie Kyubey rekrutiert und in einen aussichtslosen Krieg jenseits ihrer Vorstellungskraft geschickt werden. Ich bin ein großer Fan dieser Wendung, weil mir seine ausdruckslosen Knopfäuglein schon von der ersten Minute an unheimlich waren. Tatsächlich ist Kyubey nämlich ein Mephisto, der den Mädchen einen faustschen Pakt vorschlägt: Einen Wunsch im Tausch gegen Zauberkräfte und den ewigen Kampf gegen das Böse. Die Parallelen zum Faust-Stoff sind dabei keineswegs zufällig, denn Goethes Drama wird im Verlauf der Serie mehrfach direkt und indirekt zitiert. Die Mädchen reagieren sehr menschlich auf diese Offenbarungen, von Rationalisierungsstrategien bis hin zu existententiellem Weltschmerz. Allgemein sind die Charaktere und ihre Dialoge erfrischenderweise häufig meilenweit von den typischen „Mit der Macht der Freundschaft können wir alles besiegen“-Plattitüden entfernt. Besonders im Gedächtnis blieb uns die Figur von Madokas Mutter, die nicht nur wie ein authentischer Erwachsener wirkt, sondern auch verblüffend reale Weisheiten von sich gibt:
„You need to learn how to make mistakes before you grow up. When you are young, you can recover quickly when hurt. When you get older it’s harder to make mistakes. As you get more responsibilities, the less mistakes you are allowed to make. Being an adult is hard for everybody.
That’s what alcohol is for.“
Im Verlauf der Handlung stellen sich unsere Heldinnen immer wieder dem Kampf gegen die bösen Hexen. Diese sind keineswegs hutzelige Damen auf Reisigbesen, sondern künden ihre Präsenz stets mit einer brutalen Durchbrechung des Art Styles der Serie an: Die Hintergründe werden zu grotesken Collagen aus verschiedensten Kunstrichtungen, während die Mädchen gegen furchterregende Gestalten aus abnorm zusammengewürfelten Formen und Farben kämpfen. Diese visuell verstörenden Sequenzen sind der klare Höhepunkt der Serie, weil sie in ihrer Fremdartigkeit so hervorragend die düstere Abwärtsspirale der Handlung unterstreichen. Und so sind diese Kämpfe auch niemals das harmlose Spektakel geringerer Serien: Hier fließt echtes Blut, und schon bald müssen die Mädchen schwere Verluste erleiden und mit den seelischen Konsequenzen hadern.
Den Anime-Fanboys und -girls da draußen sei gesagt, dass mir durchaus bewusst ist, dass Madoka Magica nicht die erste Dekonstruktion des Genres ist. Magical Girls wurden schon mehrfach kritisch hinterfragt und Evangelion ist wohl eine Sache, die existiert. Habt bitte im Hinterkopf, dass ich absolut keine Ahnung auf dem Gebiet habe. Aber ich merke, wenn ich eine Sache gut finde. Und Madoka Magica ist wirklich überraschend gut – auch wenn ich einige Probleme damit habe, welche aber auch zu großen Teilen meinen persönlichen Vorurteilen und Vorlieben zu verschulden sind. So endet die Serie zwar bittersüß, aber mit einem irgendwie deplatzierten Beinahe-Cliffhanger. Und obschon viele Klischees aktiv bekämpft und vermieden werden, so bleiben doch einige hohl klingende Dialoge und der absolut langweilige Charakter von Madoka, welche leider trotz innerer Konflikte keine größeren Wandlungen vollzieht und deshalb häufig ganz schön dämlich statt entwaffnend niedlich wirkt. Dennoch wünsche ich mir mehr Anime-Zeugs, das so clever und anarchistisch mit den festgefahrenen Konventionen spielt.
Gerade habe ich aus Langeweile auf Netflix das Staffelfinale von „Glitter Force“ geschaut (in der Hoffnung auf komprimierte Action). Und wenn du jetzt denkst: Bei DEM Titel kann der Anime doch nur widerlich süßlicher Sch… sein – dann hast du Recht gehabt! Jedenfalls fiel mir in diesem Zusammenhang diese positive Rezension von dir zu „Puella Magi Madoka Magica“ wieder ein (die ich übrigens wieder sehr genial fand – du hast eine super Schreibe).
Früher mochte ich „Sailormoon“ wirklich gern und hatte gedacht, die Glitter-Mädels könnten ganz unterhaltsam sein. Tiefe irgendeiner Art hab ich da schon gar nicht erwartet. Aber nach dieser Folge … Dass die sich mithilfe von PUDERDOSEN verwandeln, sämtliche Dialoge mit dem Wort „Glitter-“ ergänzt werden und die Heldinnen einfallslos nach Farben benannt sind – geschenkt.
Aber während des Endkampfes wurde in Held-liegt-blutend-am-Boden-und-rappelt-sich-ein-letztes-Mal-auf-Manier tatsächlich nicht ein einziges Klischee ausgelassen. Zunächst wurde zB der TIARA-Modus für vereinte Kräfte aktiviert. Doch selbstverständlich hat das nicht ausgereicht! Also gab es da noch den PRINZESSINNEN-Modus, mit süßen Kleidchen und EINHORN-Zauberstäben. Dank dieser Pegasus-Power ritten die Mädels auf Einhörnern aus Licht gegen den Feind, bis die Tiere schließlich nach Anrufung ihrer Macht REGENBÖGEN (ich sag es noch mal: REGENBÖGEN!) gegen den Endgegner spien. *Kopf-schüttel*
An diesem Punkt saß ich nur noch ungläubig da und wünschte mir verzweifelt, die Einhörner hätten das Ding für sich entschieden, indem sie Regenbogen-Durchfall gegen den Feind kacken …
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Hey Katrin, vielen Dank für meinen neuen Lieblings-Kommentar! 😀
Ich kenne deinen Frust – nicht zuletzt, weil die gleiche Dame, die Madoka Magica vor mir verteidigt hat, mir danach die erste Folge von ‚Glitter Girls‘ als Bezugsgröße gezeigt hat. Ich habe in meinem Leben schon einen Haufen Schrott gesehen, aber dabei habe ich wirklich in jeder schmerzvollen Minute die Meetings der Autoren und Produzenten vor mir gesehen, die dieses herz- und seelenlose Zielgruppen-Beleidigung zu verantworten haben. Ich kann nur hoffen, dass die Kids da draußen zu schlau für diesen zynischen Abklatsch sind. Mein Beileid dafür, dass du dir das auch antun musstest.
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Musste ich ja nicht. Ich war nur … so verdammt naiv! 😀 Und willig, unterhalten zu werden.
Aber ich geb dir recht: dieser Glitter sorgt beim Schauen für regelrechte körperliche Schmerzen.
Da ist wohl unser Glitter-Spirit nicht stark genug. ^^ *würg*
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