Captain America: Civil War

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Superhelden-Schlägerei von Anthony & Joe Russo.

Das isser also, der ganz große Fisch: Die Avengers (2012) haben aufgezeigt, dass das breite Publikum bereit für ein Superhelden-Teamup-Spektakel ist, aber Civil War hat zu beweisen, dass das wirre Melodrama der komplexen Comic-Mythologien einen Platz auf der großen Leinwand hat: Während alle bisherigen Teile der Reihe auch mehr oder weniger eigenständig funktionierten, ist hier ein Vorwissen über mindestens ein halbes Dutzend Filme notwendig, um die Höhe des Einsatzes, die Fülle der Kostümträger und deren Motivationen vollends zu verstehen. Gleichzeitig unterstreicht Civil War aber auch, wie erwachsen unsere blöden Bumm-Filme geworden sind, nun da Iron Man und Captain America eine politisch-ethische Meinungsverschiedenheit über zivile Opfer und behördliche Kontrollinstanzen haben, die zu einem blutigen Konflikt unter Freunden eskaliert. Und da mittlerweile nicht nur Zyniker dem Superhelden-Kino ein baldiges Ende aufgrund eines völlig übersättigten Marktes orakeln und nervös auf den einen schlechten Film warten, der das Schlachtschiff Marvel versenkt, liegen eine Menge Augen auf Civil War.

Ein scheinbarer Routine-Einsatz der Avengers läuft schief. Die Menge an unschuldigen Opfern, die das Pech hatten, zu nah an den hübschen Explosionen für das Popcorn-Publikum zu stehen, häuft sich dramatisch. Die Frage der Verantwortung hängt wie ein Damokles-Schwert über den bunt angezogenen Selbstjustizlern. Daher organisieren die United Nations ein Gesetz, welches die Avengers rechtlichen Kontrollen unterwerfen soll. Während Tony Stark (Robert Downey Jr.) die moralische und politische Notwendigkeit eines solchen Gesetzes einsieht, ist der liberale Captain America (Chris Evans) gar nicht davon begeistert, von einem Gremium an die Kette gelegt zu werden. Eines führt zum anderen, anderes führt zum späktakulär inszenierten Showdown: Superhelden gegen Superhelden. Dabei bleibt der Konflikt trotz seiner enormen Tragweite und des Halbgott-Status aller Beteiligten sehr persönlich und charakterorientiert.

Zunächst sei einmal gesagt: Civil War ist ganz sicher nicht dieser eine schlechte Film, der das Genre kippt. Puh, durchatmen. Der Film ist auch nicht annähernd so düster und grimmig, wie die Inhaltsangabe vermuten lässt: Das ausgezeichnete Skript lässt viel Spielraum für Charme und Witz. Andererseits ist es auch ein verdammt guter Action-Streifen mit so vielen bestechenden Figuren und spannenden Wendungen, dass man am Ende schon ganz schön beeindruckt ist, wie viel hier in „nur“ 150 Minuten zu sehen ist. Tatsächlich ist dieses Drehbuch ein kleines Wunder, da trotz der Komplexität der Handlung jeder einzige Charakter etwas zu tun bekommt, seinen eigenen coolen Moment hat und wirklich niemand, noch nicht einmal die vermeintlichen Nebenfiguren, jemals nutzlos rumsteht oder langweilig ist. Da er in der Diskussion um die namhaften Protaginsten unweigerlich untergehen wird, möchte ich dabei allen voran unseren Landsmann Daniel Brühl (Ja, der aus Good Bye Lenin!) hervorheben, der neben dem ganzen Spektakel einen überraschend interessanten und komplizierten Bösewicht gibt (und dann spielt auch noch ein Großteil der Action in meiner Heimat Berlin, yay!).

Gerade die Neuzugänge im Marvel-Kosmos bekommen viel Liebe von den Autoren: Die in Age of Ultron (2015) eingeführten Vision (Paul Bettany) und Scarlet Witch (Elizabeth Olsen) haben einige überraschend süße Charaktermomente und werden emotional stark vom Konflikt ihrer Avenger-Ziehpapas mitgenommen. Black Panther (Chadwick Boseman) macht hier seinen großen Auftritt und stiehlt dem Team ein wenig die Show: König T’Challa strahlt in jeder Sekunde auf der Leinwand majestätische Anmut und Weisheit aus – und bekommt ganz nebenbei eine richtige Origin Story samt eigener Entwicklung vom Rachegeist zum Superhelden. Und nicht zuletzt ist da natürlich der blutjunge und entwaffnend verplante Spider-Man (Tom Holland), der einen Haufen unschuldigen Spaß und kindliche Begeisterung mitbringt und durch seine absolut geniale Interpretation des Charakters, welcher von Sony nun mehrmals gegen die Wand gesetzt wurde, Civil War einfach mal so zum besten Spider-Man-Film macht. Einerseits möchte man meinen, dass irgendwann mal Schluss ist, dass das Cinematic Universe von Marvel unmöglich mehr Charaktere aushalten kann, dass sie irgendwann alle Zuschauer verlieren, wenn sie jedes Jahr fünf neue Typen auf den Actionfiguren-Markt schleudern – andererseits sind diese Figuren aber hier mit so viel Persönlichkeit und Charisma gesegnet worden, dass zumindest ich jetzt schon hibbelig auf mehr davon warte.

 

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Der Vergleich mit Batman v Superman steht natürlich peinlich berührt im Raum und scharrt verlegen mit den Füßen, denn während Marvel so gut wie alle Trends des modernen Superhelden-Films erst etabliert und dann gefestigt hat, war DC zwar spät zur Party – hat aber zuerst die „geliebte Ikonen verdreschen sich gegenseitig“-Karte gespielt. Aber hier kommt der große Katalog an etablierter Geschichte den Marvel-Helden zugute: Wir sind bereits in diese Charaktere investiert, weil sie eine gemeinsame Vergangenheit haben. Ihr Kampf basiert nicht auf einem Missverständnis, sondern auf einer ideologischen Meinungsverschiedenheit, welche organisch aus ihren Persönlichkeiten entspringt. Dabei ist für mich erstaunlich, dass es tatsächlich hitzige Diskussionen darum gibt, wer von beiden denn nun tatsächlich im Recht ist, was ich jetzt mal als Zeichen eines guten Skripts deute. Unabhängig davon, ob man nun eher Cap- oder Iron Man-Fan ist, ist einem jeder gelandete Schlag unangenehm, weil es sich immer so anfühlt, als würde es einen alten Freund treffen.

Durch die in gewohnt witzigen und cleveren Dialogen gefestigten Persönlichkeiten und die gemeinsamen Abenteuer unserer Helden bringt Civil War etwas mit zur Arbeit, das ich in Dawn of Justice trotz allen guten Willens leider vermisste: ehrliche Emotionen. Während das Finale des DC-Streifens klar auf die Herzen der Zuschauer abzielte, fiel es zumindest bei mir ganz schön flach. Der Comic-Fan grinst zwar freudig, wenn sich die größten Superhelden der Welt endlich vermöbeln, sorgt sich aber niemals wirklich um ihr Wohlergehen. Wenn es jedoch in Civil War um Leben und Tod geht, klebt man gebannt am Geschehen, weil man diese Figuren entweder über langjährige Abenteuer oder einfach eine coole Aktion vor fünf Minuten lieb gewonnen hat und sich daher bis zuletzt wünscht, dass es vielleicht doch noch eine friedliche Lösung gibt. Während Zack Snyder den Übermensch-Status von Batman und Superman betonte, sind die Avengers am Ende des Tages entwaffnend menschlich.

Von Menschlichkeit gesprochen: Es gibt einen wichtigen Aspekt, mit dem auch dieser Film das Marvel-Universum stark bereichert: Die farbenfrohe Vielfalt der Figuren zurrt das Genre in großen Schritten aus der Domäne weißer Männer heraus. Mit Falcon, War Machine und natürlich Black Panther sind gleich drei schwarze Superhelden vertreten, die längst nicht mehr inkompetente Sidekicks sind, sondern selber legitim Arsch treten. Black Widow, Scarlet Witch und Sharon Carter sind weibliche Badasses, die eine ganze Generation junger Mädels inspirieren dürften, die noch immer nicht durch ihren eigenen Film vertreten sind. Am spannendsten finde ich dabei aber eine Rede, die Sharon Carter auf der Trauerfeier ihrer Tante verliest: Was in den Civil War-Comics eine pathetische Ansprache Captain Americas über seine eigene Entschlossenheit war, wird hier zum flammenden Kampfruf einer Frau, die sich in einer Männerwelt behaupten musste – und die durch ihre Entschlossenheit nun den guten Captain inspiriert, nicht aufzugeben:

When the whole world tells you to move,
your job is to plant yourself like a tree
beside the river of truth,
and tell the whole world –
„No, you move.“

Und so knallt dieser leichtherzige, tierisch spaßige Hau-Druff-Film auf einmal ein paar wirklich wichtige Fragen auf den Tisch: Wollen wir in einer Welt leben, die Menschen noch immer aufgrund ihrer Hautfarbe, Geschlechtsteile oder Identitätsentwürfe ausgrenzt? Sind wir die Schützlinge oder die Schutzschirme unserer Regierungen? Wie weit dürfen unsere vermeintlichen Sicherheitsorgane gehen? Das alles fließt so organisch, so selbstverständlich in diesen spektakulären und charakterstarken Action-Film ein, dass man sich wirklich nicht mehr vom Superhelden-Kino wünschen kann. Es mag leichte Kost sein, aber es ist Qualitätsarbeit mit viel Herz und Liebe fürs Detail.

10 Gedanken zu “Captain America: Civil War

    1. Das ist ja cool, Glückwunsch zu deinem Hollywood-Ruhm! 😉
      Grüße zurück, ebenfalls aus Berlin. Es ist schon schräg, die Superhelden durch deine Nachbarschaft hetzen zu sehen.

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  1. ah… du bist auch aus berlin? biste nen berliner?

    naja „ruhm“… ich hab in drei szenen mitgespielt an vorderster front,
    sozusagen neben dem hauptdarsteller.
    alle kommandos auf englisch – naja bei ner hollywood-produktion – da ich englisch einigermaßen beherrsche,
    fragte der regisseur mich: „do you speak englisch?“
    meine antwort: „yes i do, what have i to do in the next szene?“
    dann wurde ich vom regisseur besonders instruiert.
    ich hab auch mit ihm am kaffeetisch gesessen und nen bissel geplaudert, war toll!
    ich darf mich jetzt auch selbst suchen im film. wird für mich auch spannend…

    na denne grüße aus berlin nach berlin 🙂

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    1. Hey, vorderste Front bei ner 150-Millionen-Dollar Hollywood-Produktion ist Ruhm! Ja, ick bin jebürtger Berliner – Grüße zurück und viel Spaß beim selber suchen auf der großen Leinwand. 😉

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      1. hey joseph,
        na endlich mal nen jebürtijer berlina.
        icke och sogar waschecht 😉
        soll heißen (fast) allet in meiner family is in berlin geboren.
        bis uff eene zujezogene.
        wenn ick mich jefunden hab auf der leinwand und der streifen uff dvd rauskommt,
        kann ick och die minute(n) sagen in denen ick zu sehen bin.
        na denn allet jute.

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  2. Pingback: Captain America: Civil War (2016) | Illegitim.

  3. Sehr schön ausgeführt, Joseph, vielen Dank. Was mich besonders positiv überrascht hat, war dass man als Zuschauer nicht zwingend eine Seite einnehmen musste. Man konnte jedenfalls beide Lager irgendwie verstehen, keiner war total im Unrecht. Dass das ganze mit besserer Kommunikation gar nicht erst so weit gekommen wäre ist klar, aber dann hätte es natürlich diese coole Geschichte nicht gegeben. 🙂

    Gefällt 3 Personen

  4. Pingback: Kritik: The First Avenger – Civil War | filmexe

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