Preacher

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Ketzerischer Gothic-Western von Sam Catlin, Evan Goldberg & Seth Rogen.

Die Preacher-Comics von Garth Ennis und Steve Dillon (1995-2000) sind emblematisch sowohl für das Lebenswerk von Garth Ennis als auch für DCs Vertigo-Imprint: Die Inhalte sind anarchistisch, bitterböse und grenzüberschreitend, zeichnen sich aber auch durch ihren schwarzen Humor und eine filterlose Erkundung menschlicher Abgründe aus. Man möchte meinen, dass bei der Übersetzung zu einer Fernsehserie eine Menge geschnitten und zensiert werden muss, aber Pustekuchen: Die TV-Adaption ist genau so blutig und abgefuckt wie die seinerzeit schon hart umstrittene Vorlage – ein abgedrehter Höllentrip, aber wirklich nix für zartbesaitete oder gottesfürchtige Naturen.

Der Dorfprediger Jesse Custer (Dominic Cooper) ist ein heruntergekommenes Wrack von einem Mann, ein fluchender, gewalttätiger Trinker, der einzig aus Respekt vor der Familientradition noch die Botschaft des Herrn in einer verschlafenen Kleinstadt in Texas verkündet. Sein Leben wird jedoch von drei Ereignissen ganz gewaltig umgekrempelt: Erstens kehrt seine kriminelle Ex-Freundin Tulip (Ruth Negga) zurück, mit der ihn eine düstere Vergangenheit verbindet. Zweitens wird der irische Vampir Cassidy (Joseph Gilgun) zu seinem Mitbewohner. Und drittens wird ihm durch eine überirdische Entität das WORT GOTTES verliehen, welches ihn von heute auf morgen zum mächtigsten Mann auf Erden macht.

Was in diesem letzten Absatz reichlich wirr klingt, funktioniert im Glotzenformat vor allem aufgrund der unglaublich talentierten Besetzung. Der innere Seiltanz zwischen moralischer Autorität und irrwitzigen Allmachts-Fantasien ist dem Prediger in jeder Szene aus den Augen abzulesen. Tulip ist ganz ohne Scheiß eine der coolsten Action-Heldinnen der TV-Geschichte, deren erster Auftritt ein heißer Anwärter auf meine Lieblingsszene dieses Jahres ist. Und Joe Gilgun wurde mit ziemlicher Sicherheit einzig und allein dafür geboren, den zeternden Kneipenschläger und blutsaufenden Überlebenskünstler Cassidy zu spielen. Sein verschlagener Straßenköter-Charme macht ihn zum heimlichen Star der Show.

 

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Im Herzen der Geschichte steht jedoch das ethische Dilemma rund um den titulären Prediger, der sich durch die ihm verliehenen Superkräfte zu Höherem berufen fühlt und am liebsten all die verirrten Schäfchen um ihn herum zurück auf den Pfad des Herrn lenken würde – aber nach und nach realisieren muss, dass das texanische Nest ein Sündenpfuhl ist, der es vielleicht gar nicht verdient hat, gerettet zu werden. Das Dörfchen wird nämlich von einem Sammelsurium skurriler Figuren bewohnt, die eher schlecht als recht die Fassade der amerikanischen Kleinstadt-Romantik aufrecht erhalten. Mit jeder Episode werden aber mehr Leichen im Keller ausgebuddelt, bis niemand mehr unschuldig scheint. Das Preacher-Universum ist ein blutiges Höllenloch voller abscheulicher Menschen und menschlicher Abscheulichkeiten, die den Glauben des Predigers prüfen und erschüttern.

Dabei machen natürlich gerade diese Abscheulichkeiten einen Großteil des Suchtfaktors aus: Immer, wenn man sich als Zuschauer denkt, dass die Autoren unter dem Druck des Networks und im Umfeld der bibelfesten USA unmöglich diese oder jene Grenze überschreiten können, brettern sie mit grinsendem Enthusiasmus durch. Damit erreichen sie eine schräge Mischung aus Horror, Psychodrama und schwarzem Humor, die man nur schwer beschreiben kann: Mal erinnert ein cleveres Wortgefecht angesichts eines blutigen Massakers an einen Tarantino-Streifen, mal wird Sam Raimis unorthodoxer Umgang mit dem Übernatürlichen zitiert, mal wirkt die schräge Bevölkerung des ländlichen Texas so, als hätte man sie alle miteinander aus einem Coen Brothers-Projekt entführt.

Das Resultat jongliert mit vielen verschiedenen Genres und nicht zuletzt auch den Emotionen des Zuschauers. Gegen Ende der Staffel hält die Kamera kompromisslos auf einen furchtbar verkrüppelten und verstümmelten Menschenkörper, der darum bettelt, getötet zu werden – im Kontext ist die Szene aber ein großer Lacher, was einen zur Frage führt: Bin ich selber wirklich so viel besser als diese Leute? Immerhin hab ich ja selber das Eingeweide-und-Sakrilegien-Programm eingeschaltet.

Wenn ich mir einen Kritikpunkt an den ersten zehn Folgen Preacher aus den Fingern saugen müsste, dann wäre da einzig noch ein wirklich cooler Gegenspieler, der zu großen Erwartungen aufgebaut wird, am Ende aber als Cliffhanger-Versprechen für die zweite Staffel hinhalten muss. Aber meine Fresse, was für ein Versprechen!

Wer einen starken Magen, entweder sehr festen oder gar keinen Glauben und einen Fimmel für bösen Humor mitbringt, der wird mit der ersten Staffel von Preacher seine derbe Freude haben.

 

 

 


Preacher kann man hierzulande auf Englisch und Deutsch bei Amazon Prime Video schauen.

10 Gedanken zu “Preacher

  1. Für sich alleinstehend finde ich die Serie auch vielversprechend, aber wenn man vorher die Comics gelesen hat, muss man erstmal eine Runde Abstand nehmen, um das filmische Werk nochmal genau zu betrachten, denn da gab es so einige Schnitzer und Abänderungen… Hast du die Comics auch gelesen? Wenn nicht, kann ich sie wärmstens empfehlen…

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  2. Die Serie hatte ich nach dem Trailer direkt abgeschrieben, weil ich dachte es könnte eh nicht gelingen Ennis‘ matschige Hirnergüsse adäquat ins Fernsehen zu übertragen. Das klingt jetzt aber so, als müsste ich doch mal reinsehen.
    Und wohl auch mal wieder in die Comics schauen, ob die immer noch funktionieren oder die Umgebung der späten 90er/frühen 0er brauchten.
    Ich trauere trotzdem weiter darum, dass es die ‚Transmetropolitan‘ Umsetzung mit Patrick Stewart nie gegeben hat.

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  3. Irgendwo hatte ich schon mal was im Zusammenhang mit der Serie aufgeschnappt, aber eher im Gegenteiligen zu dem, was du hier geschrieben hast – und irgendwie war mir auch so, dass die Serie bereits wieder abgesetzt wurde…
    So klingt das zumindest wesentlich interessanter und kommt gleich mal auf meine To-Watch bzw. To-Read-Liste. 😀

    Ich mochte Gilgun (war ein bisschen irritiert, als du ihn Joe nanntest und das Bild, dann den Typen zeigt, den ich als Joseph kannte) schon als personifizierte gespaltene Persönlichkeit in Misfits – zumindest was seine Fähigkeiten in die verschiedenen Persönlichkeiten zu schlüpfen anging – bin gespannt wie er sich hier macht.
    Cooper in so einer Rolle zu sehen wird bestimmt auch spannend, ich kenn ihn bisher ja nur als Howard Stark aus dem MCU/Agent Carter und ein paar kleineren Rollen, in denen er nicht immer so begeisternd war und meist eher den Sunny Boy mimte.

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    1. Danke für deinen Kommentar. Nach einer hastigen IMDb-Suche kann ich dir völlig recht geben, dass der bürgerliche Name dieses tollen Schauspielers natürlich Joseph Gilgun ist, so steht es sogar im Vorspann der Serie. Zu meiner Verteidigung teilen wir uns damit nicht nur den Vornamen, sondern auch den Spitznamen ‚Joe‘. 😀

      Ich kannte ihn auch als das eine Juwel in den uninspirierten späteren Misfits-Staffeln – wer ihn da mochte, sollte zumindest der ersten Folge Preacher eine Chance geben.

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      1. Ob es dann ein Zufall ist, dass du ihn magst, oder ob das am Namen liegt? 😉

        „Das eine Juwel der uninspirierten späteren Staffeln“ trifft es irgendwie perfekt…

        Wie gesagt, bei mir ist es schon auf der Liste. 😉

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  4. Ich hatte mit den Comics angefangen und hing gewaltig lang an 8 (Hardcover 9 Bände Ausgabe). Mit der Serie hab ich dann Gas geben, muss aber zugeben, dass sowohl Serie als auch Comic seine Höhen und Tiefen haben. Für mich war jedenfalls extrem schwierig nachzuvollziehen, wie Leute die Serie aufnehmen und mit den absolut abgefuckt geilen Halbinfos umgehen, die die Comics nicht kennen. Allein die Schnipsel zum Heiligen d. K.
    Ist euch auch aufgefallen, dass sie die Schärfe aus der Cassidy Tulip Sache genommen haben? Also den fiesen Anteil Jesse gegenüber, weil Cass ja in der Serie nicht wusste, dass sie seine Tulip ist, bevor er…

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