Opeth: Sorceress

opeth

Verspielter Prog-Rock von Opeth.

Die Stockholmer Opeth (mir fällt in dieser Sekunde auf, dass alle bisher auf dieser Seite besprochenen Bands aus Schweden kommen) begleiten mich schon mein halbes Leben. Ihr Output um die Jahrtausendwende war der perfekte Soundtrack für das Leben eines prätentiösen Metalheads, der gleichzeitig verwegen und grüblerisch wirken wollte. Alben wie ‚Blackwater Park‘ und ‚Deliverance‘ pendelten irgendwo zwischen melancholischen Akustik-Traumlandschaften und aggressivem Death Metal. Die Band stagnierte jedoch nicht in dieser Schwebe, sondern entwickelte sich im Verlauf der letzten Jahre immer weiter in jazzigere Prog-Gefilde. Da ist es nur logische Konsequenz, dass auf den letzten Platten also weder extremes Metal-Riffing noch Growls zu hören sind. Auf ‚Sorceress‘ werden handwerklich beeindruckende und vertrackte Klangwelten geschaffen, deren Wurzeln sich aus der verkopften Rock-Szene der 60er nähren.

Nach einem kurzen Jazz-Vorspiel kommt der Titelsong des Albums für Opeth-Verhältnisse ungewohnt erdig und heavy daher. Hier baut die Band um ein doomiges Black Sabbath-Gedächtnis-Riff herum einen Song mit fast schon radiofreundlicher Struktur auf. Puristen wurden im Vorfeld nervös – und doch sind alle Markenzeichen vertreten: Die plötzlichen Tempowechsel, atmosphärischen Breakdowns, das verspielte Drumming und natürlich die von Mikael Åkerfeldt klar vorgetragene und über allem schwebende Poesie machen diese Nummer zu einem unsterblichen Song für all jene, die attraktive Menschen oder befreundete Musikstudenten mit ihrem tollen Geschmack beeindrucken wollen.

 

 

Doch natürlich scheinen Opeth erst so richtig, wenn man sie nicht an etablierte Strukturen bindet, sondern einfach ohne Rücksicht auf Verluste oder ein Radiopublikum ihre Kreativitätsbomben zünden lässt. Das vorab veröffentlichte ‚The Wilde Flowers‘ startet mit einem sperrig gerifften und georgelten Mantra, welches kurz nach dem Eintreten von Berechenbarkeit auf einmal explodiert, nur um sich in einer verstrahlt-melancholischen Traumreise aufzulösen… die den Hörer zu ihrem Ende wieder mit einem Klangfeuerwerk in irdische Sphären eintreten lässt.

Diese teilweise halsbrecherischen Spiele mit Kontrasten machen für mich den besten Teile des Albums aus: Auch auf dem wuchtigen ‚Chrysalis‘ oder dem zu Beginn stark an  ihren Produzenten Steven Wilson erinnernden ‚Strange Brew‘ werden die Erwartungen des Hörers immer wieder durch einen plötzlichen Wechsel in neue Gefilde, einen Schritt in unentdecktes Land, überrascht. Da wird experimentiert mit schwerem Riffing, Noise-Chaos, sonderbaren Drum-Rhythmen – oder einfach mal mit einer andächtigen Stille, die von einer sich aufbäumenden Gitarre zerrissen wird. Über die Jahre haben Opeth diese Kontrastarbeit perfektioniert.

 

 

Doch abseits des fachmännischen Spiels mit laut und leise gibt es noch eine andere Seite von Opeth, die sie zur perfekten Band für lange Auto- und Bahnfahrten macht: Die mal zerbrechlich schöne, mal getragen imposante Melancholie, die in Balladen wie ‚A Fleeting Glance‘ oder dem orientalisch angehauchten Instrumental ‚The Seventh Sojourn‘ die Gehirnwindungen des Hörers kidnappt und nicht mehr her geben will. Wer sich in einer Welt voller Youtubes und Shuffle-Playlisten noch die Zeit für ein ganzes Album am Stück nimmt, wird auf ‚Sorceress‘ mit einer fast schon meditativen Erfahrung belohnt. Die gibt es aber für die Ungeduldigen auch in kleineren Häppchen, wie zum Beispiel in der traditionell strukturierten, aber bittersüßen Jethro Tull-Folk-Akustikballade ‚Will O The Wisp‘:

 

 

Als langjähriger Fan spreche ich natürlich voreingenommen, wenn ich ‚Sorceress‘ zu einer unverzichtbaren Platte erkläre. Ehrlich gesagt geht eine Menge dessen, was hier musikalisch passiert, weit über meinen Laien-Kopf. Dennoch ist es ein Album geworden, welches man auch Leuten in die Hand drücken kann, die nichts mit Heavy Metal oder Free Jazz am Hut haben. Opeth gehört zu den wenigen, kostbaren Bands, die auch nach 25 Jahren Bandgeschichte noch verspielter und experimentierfreudiger sind als so manche Jungspunde in ihren Garagen da draußen. Musik ist noch lange nicht vorbei, man muss nur ab und an einen Blick über den Tellerrand wagen.

 

 


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Sorceress

3 Gedanken zu “Opeth: Sorceress

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