Horror-Roadmärchen von Scott Snyder.
Wir nähern uns mit großen Schritten Halloween. Da fällt mir auf, dass ich für diesen Monat eigentlich nur noch Doctor Strange auf der Liste habe – und wenn da nicht ein überraschender Frankenstein im letzten Akt aufploppt, würde der Monat ganz unspuktakular an mir vorüberziehen. Abhilfe soll nun diese grusel-wuselige Comic-Miniserie von Scott Snyder schaffen, über die ich schon so viele gute Dinge gehört habe: Ein Teil Reisebericht, ein Teil Thriller, ein Teil Slasher und ganzheitlich schauerlich.
Die Geschichte beginnt in Jamestown, 1916, wo der Teenager Jack Garron so überhaupt keinen Bock auf den Lebensentwurf seiner Adoptivmutter hat: Statt auf einer feinen Schule im Orchester zu spielen, büchst er kurzerhand von zuhause aus, um seinen leiblichen Vater, mit der ihn nur ein Foto und seine Leidenschaft des Geigenspielens verbindet, kennen zu lernen. Seine Vorstellungen des romantischen Landstreicherlebens kollidieren jedoch schon bald und heftig mit der Realität auf der Straße, wo die Seele eines obdachlosen Bengels niemandem auch nur einen Pfifferling wert ist – zumindest niemandem außer dem ominösen Handelsreisenden im schwarzen Mantel, der Jack schon bald auf den Fersen ist…
Der Ton, den Severed anschlägt, scheint zunächst eher mit dem Great American Novel statt den namhaften Vertretern des Comic-Horrors verwandt. Das hat viel mit dem Zeitgeist zu tun, der in Snyders starken Dialogen und den liebevollen Zeichnungen von Attila Futaki eingefangen wird. Der Kontrast zwischen der idealistischen, hoffnungsvollen Jugend und der brutalen Wirklichkeit der harten Pflaster Amerikas entführt den Leser auf einen spannenden Road Trip.
Der Clou an der Geschichte ist natürlich, dass wir nicht nur Jack, sondern auch seinen düsteren Verfolger begleiten, ein mörderisches Monster, welches direkt aus einer Stephen King-Geschichte zu stammen scheint. Wir lernen zwar bereits im ersten Kapitel seinen Modus Operandi kennen, rätseln jedoch bis zum Ende gebannt darüber, wer – oder was – er ist. Trotz einiger verstörender Andeutungen bleibt die schlimmste Eigenschaft dieses Ungeheuers jedoch die Tatsache, dass seine Taten Präzedenz in unserer Realität haben – wobei der zögerliche Leser zumindest damit beruhigt(?) sein kann, dass sein Interesse an Kindern nicht sexueller Natur ist.
Die größte Stärke dieser Reihe ist die Darstellung des drohenden Bösen, welche von dem langsamen, aber nie entspannten Tempo profitiert. Wo bei Meistern des Horror-Comics wie zum Beispiel Garth Ennis früh und ab da konstant Blut und Eingeweide durch die Gegend fliegen, verzichtet Severed zunächst auf expliziten Splatter, um uns stattdessen durch langsam steigende und konstant nagende Furcht zu foltern. Während wir als Leser schon von Beginn an wissen, dass dem mysteriösen Handelsreisenden nicht zu trauen ist, wandern unsere Helden blauäugig in die Gefahr hinein. Die Szenen, in welchen Jäger und Beute dann aufeinander treffen, sind so irre spannend, dass man vergisst zu atmen, obwohl man ja nur einen Comic in der Hand hält.
Severed lebt nicht durch die Originalität der Geschichte (die mindestens so alt ist wie die von Rotkäppchen und dem bösen Wolf), sondern durch eben diese meisterlich aufgebaute Spannung. Die ganze Reihe hat in etwa die Länge und den Umfang eines Horrorfilms – rund und in sich geschlossen. Im Gegensatz zu so vielen Schocker-Streifen wird hier aber viel Wert auf sympathische Charaktere, ein tolles Setting und eine Horror-Atmosphäre gelegt, die mit ihren Tritten auf die Psyche statt auf den Magen zielt. Genau richtig für eine dunkle Geisterstunde zu Halloween.
Wer Blut geleckt hat, kann den ersten Band direkt hier lesen:
Die gesammelte Reihe gibt es in einem günstigen Paperback auf Amazon – momentan nur auf Englisch:
Halli-Hallo,
klingt gut.Das wäre dann mein erster Horror-Comic! Ich werde reinlesen!😊Viele Grüße
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Den kannte ich noch nicht. Klingt aber gut. Wie immer vielen Dank für die Vorstellung, ich denke ich werde mal wieder zugreifen.
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