Wie blöd ist Harry Potter and the Cursed Child?

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Pottheater von J.K. Rowling, John Tiffany & Jack Thorne.

Verzeih mir, ich breche schon wieder mit meiner Positivitäts-Agenda. Aber da ist wieder so eine Tirade, die raus muss. Weil ich in den letzten Monaten viele gute Zeitreise-Geschichten gefressen habe – und eine grottenschlechte. Denn dieses Harry Potter-Stück von letztem Jahr ist zwar vielerorts gescholten worden, aber auch mit diesen durchwachsenen Kritiken gehe ich nicht so richtig mit, weil sie an Besetzung und Beziehungen herumhacken, nur um anschließend die großen erzählerischen Probleme zu ignorieren. Zumindest die gedruckte Variante ist meiner Meinung nach nämlich wirklich, wirklich blöd. Ich hab eine Liste gemacht, so blöd find ich sie!

Konsens scheinen diese drei Ansichten zu sein:

Erstens: Harry Potter leide unter dem Medium Drama

Ich kann hier nicht ganz mitgehen. Im Gegenteil freue ich mich, einen Dramentext zu lesen, der zu einem modernen Franchise gehört. Verloren gehen natürlich die detailverliebten und witzig beobachteten Beschreibungen von Rowling, die viel von dem Charme der Bücher ausmachten. Ein Teil bleibt uns jedoch in abgefahrenen Regieanweisungen erhalten, die so ziemlich jeden Bühnenbildner in den Wahnsinn treiben dürften. Und an der Besetzung werde ich schon gar nicht mäkeln, ohne sie in Aktion gesehen zu haben.

Zweitens: Harry Potter sei ein schlechter Vater

Dieses Stück Charakterisierung, das anscheinend vielen Fans gegen den Strich geht, halte ich ganz ehrlich für den besten Aspekt dieser Geschichte: Selbstverständlich ist Harry Potter kein besonders guter Vater, da er seinen Kindern nicht nur die enorme Bürde seines Namens auferlegt, sondern auch schlicht und ergreifend niemals Teil einer funktionierenden Familie war. Diese Schwäche erkennt er auch als solche und arbeitet daran – wie ein Erwachsener das eben so tut.

Drittens: Harry Potter The Next Generation lese sich wie Fan Fiction

Auch wenn ich das eigentlich so unterschreiben kann, macht man es sich mit dieser Null-Aussage ein wenig einfach. Warum fühlt es sich denn nun weniger nach Thronfolger und mehr nach Teenager-Geschreibsel an?

Hier ist also eine Liste meiner Probleme mit dem Text. Diese sind wie immer subjektiv und werden dich nicht deiner Meinung expelliarmen. Ich hoffe inständig, dass diese Worte spät genug kommen, um niemandem den Lesespaß zu ruinieren.
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1. Hogwarts, Generation Zwei

Wir beginnen direkt da, wo der Epilog des letzten Potter-Bandes aufgehört hat. Unser Held ist Albus Severus Potter (sorry, immer noch hart grenzwertig), der im Schatten des berühmtesten Zauberer-Papas der Welt aufwachsen muss und darüber verbittert, wie es Teenager so machen. Die Dynamik zwischen den beiden ist der beste Teil des Dramas, weil sie mit den Erwartungen des Potter-Fans spielt: Albus landet in Slytherin und erlebt ereignislose erste Jahre in Hogwarts, die erst in Relation setzen, wie viel seinem Vater in den Schoß geworfen wurde und wie selbstverständlich dieser immer wildere Abenteuer gemeistert hat. Der wachsende Frust des Teenagers gegen seinen Übervater ist dann auch der Katalysator für den Rest der Handlung.

Das Problem ist also nicht, dass der Generationenkonflikt nicht gut dargestellt ist, sondern dass er das Stück entzwei reißt: Da das eigentliche Abenteuer sich um Albus und seinen Homie Scorpius Malfoy entwickelt, verbringen wir nur wenig Zeit mit Harry und Ginny, Hermine und Ron – und diese grübeln für den längsten Teil des Stückes nur in der Gegend herum, ohne nennenswerte Entwicklungen zu zeigen. Ginny ist noch immer ein Nicht-Charakter, Ron wird zu einer Witzfigur degradiert. Wir sehen sie öfter in langweiligen Meetings oder im Bett als bei ihren superwichtigen Jobs. So sind diese an den Haaren herbeigezogenen Liebesbeziehungen am Ende des Stückes noch immer so unglaubwürdig, wie sie es am Ende von Band 7 waren. Verdammich, zwischen Albus und Scorpius knistert es im Laufe dieser Geschichte mehr, als das bei Harry und Ginny je der Fall war.

 

2. Ja, „Scorpius Malfoy“

Ich verstehe, dass dämliche offensichtliche Bösewicht-Namen eine stolze Slytherin-Tradition sind. Und hier machen sie sogar was subversiv-cleveres daraus, dass der Junge mit Abstand die sympathischste Figur des Stückes ist und so gar nicht nach seinem Vater schlägt, der seinerseits einfach die Vergangenheit hinter sich lassen und ein guter Dad sein will. Trotzdem ist Scorpius Malfoy ein kolossal dämlicher Name – genau wie seine vermeintliche Origin Story, der heimliche Sohn von Lord Voldemort zu sein, kolossal dämlich ist. Aber dazu später mehr.

 

3. Die Mission ist blöd

Okay, wir haben unsere Helden und deren zentrale Konflikte, aber worum geht es in diesem Stück? Nun, die erste autonome Handlung, die Albus Potter vollbringt, um es seinem Papa so richtig zu zeigen, ist…

…die Zeitreise zurück zu Harry Potter, Buch 4, um Glitzervampir Robert Pattinson vor Voldemort zu retten.

Dabei ist die wackelige Motivation für Albus nicht mal annähernd so hanebüchen wie der Rückschritt zu einer Nebenfigur aus der Mitte der Original-Reihe, die jeder Teenager, der die Dinger hintereinanderweg liest, schon längst wieder vergessen hat. Das ist dann auch der Fahrplan für den Rest des Stückes: Statt uns auf neue Abenteuer in einem Universum unbegrenzter Möglichkeiten zu begeben, skippen wir einfach nur wild durch den Greatest Hits-Sampler von Harry Potter. Da haben Snape, Dumbledore und der Zentaur Bane (??) Gastauftritte, um einmal kurz zu winken und wieder zu verschwinden.

 

4. Die Mechanismen des Zeitreisens sind blöd

Hier ist das große Problem: Dies ist eine Zeitreise-Geschichte. Das solche Reisen im Potterversum möglich sind, wissen wir seit dem Time Turner aus Buch 3. Dort wurden klare Regeln und Limitationen für die Dinger festgelegt: Man kann nur kurze Reisen unternehmen und dadurch nicht bereits etablierte Ereignisse ändern. Das Resultat ist eine geschlossene selbsterfüllende Prophezeiung. Diese Regeln plus die Tatsache, dass die Dinger später alle zerstört wurden, sorgen für eine einzige sorgenfreie Timeline ohne größere Fragen.

The Cursed Child bricht also mit so ziemlich allen bisher etablierten Regeln, wenn es einen Time Turner zum Angelpunkt der Geschichte macht, der die Zeit um Jahrzehnte zurückdrehen kann, den Anwender dort kurz verbleiben lässt und anschließend in eine alternative Gegenwart wirft, die durch seine Eingriffe verändert wurde. Frei nach Butterfly Effect verschlimmbessert jede Reise dabei die Gegenwart. Dadurch wird nicht nur direkt mit etabliertem Potter-Kanon gebrochen, die Änderungen werden auch noch ganz beiläufig abgetan und dienen ausschließlich der Hinführung zum Finale. Die Reisenden machen keine nennenswerte Entwicklung durch, und die veränderten Welten sind nur netter Fanservice, der durch einen großen Reset-Knopf gelöscht wird. Das große Drama um Figurenkonstellationen, die durch kleine Eingriffe verändert werden, bleibt also ungenutzt auf der Strecke.

Die unangenehme Implikation: Da draußen existieren nun Inkarnationen von allen Hogwarts-Bewohnern, deren Leben durch willkürliche Eingriffe hinter den Kulissen komplett in den Dreck gezogen wurden. Dieser Aspekt wird von Autoren gerne vernachlässigt – aber so durchlebte eine Variante von Harry Potter, die genau so real war wie der uns aus den Büchern bekannte, all seine Abenteuer, nur um in seiner finalen Schlacht durch eine Laune des Universums zu sterben. Das ist harter Tobak und wird von niemandem als solcher betrachtet.
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5. Der Bösewicht ist blöd

Spoilerus Maxima!

In einer frühen Szene wird uns Delphi vorgestellt, die dann auch diejenige ist, die Albus und Scorpius zu ihren Abenteuern antreibt. Allein die Tatsache, dass sie von besagten Abenteuern verdächtig abwesend ist, ist eine rote Alarmsirene.

Zuletzt ist es dann ihr Rücken-Tattoo, welches sie in einer stark an den Haaren herbeigezogenen Reihe von Schlussfolgerungen verrät. Ganz kurz an die Leser des Buches: Ist es nicht total schräg, dass Hermine in ihren Meetings mehrfach über Riesen mit Flügel-Tätowierungen spricht, die am Ende nix mit der Bösewicht-Lady mit Flügel-Tätowierungen zu tun haben? Übersehe ich was?

Es ist nämlich nicht Scorpius, der von Voldemort in die Welt gesext wurde, sondern Delphi. Mal ganz vom begrenzten Zeitfenster für die Zeugung und dem höchst bizarren Bild von Voldi/Bellatrix-Schlafzimmeraction zu schweigen, entwertet sie das total als Gegenspielerin: Delphis komplette Motivation und Ziele basieren auf ihrem Papi. Sie könnte ab diesem Punkt einfach eine namenlose Todesserin in einer schwarzen Kutte sein.

 

6. Wenn ich noch eine Prophezeiung lesen muss, bring ich euch alle um

Delphis Plan basiert nicht auf ihrer eigenen Agenda, sondern auf einer erzählerisch holprigen und grotesk spezifischen Prophezeiung, die dem Leser vorgelegt wird, NACHDEM sie sich offenbart. Prophezeiungen sind ohnehin schon ein abgedroschener Taschenspieler-Trick für Fantasy-Autoren, aber diese hier ist besonders lächerlich, weil sie nicht als Rätsel für clevere Leser die kommenden Ereignisse andeutet, sondern einzig existiert, um die Eltern-Generation auf den gleichen Wissensstand wie ihre Kinder zu bringen. Jedes Element von Geheimniskrämerei geht dabei verloren, wenn sie unseren Figuren praktisch als Memo in die Hand gedrückt wird – mal ganz davon abgesehen, dass die Gegenspielerin komplett mit ihrem bösen Plan durchgekommen wäre, wenn sie ihn nicht in Prophezeiungs-Form in ihrem Wohnzimmer rumliegen gelassen hätte.

 

7. Die Malfoys und das mächtigste Ding aller Zeiten

Unsere Schurkin nutzt ihre Magie, um die Zeitreise-Regeln des Potterversums ERNEUT umzuschreiben und sich selbst und unsere jungen Helden auf dem Ground Zero der ganzen Saga, Harrys Geburtsort, stranden zu lassen. Die Jungs schaffen es dann zum Glück auf clevere Weise, die Erwachsenen in der Zukunft zu kontaktieren. Die haben nun aber das Problem, dass sie ihrerseits natürlich nicht zu ihnen in die Vergangenheit reisen können.

Auftritt Draco. Dessen Vater, Lucius Malfoy, hat ihm nämlich NOCH EINEN Time Turner hinterlassen, der KEINERLEI Zeitlimit hat. Er habe ihn dann aber nie benutzt, weil er wohl tief in seinem Herzen doch keinen Bock hatte, zu gewinnen.

Würde es die Wortgruppe „Präsident Donald Trump“ nicht geben, wäre dieser letzte Absatz die singulär dümmste Abfolge bedeutungstragender Zeichen, die ich in diesem Jahr wahrnehmen musste.

Lasst uns das mal auseinanderbröseln: Wir brechen die Naturgesetze der Zeitreise in Rowlings Zaubererwelt also ein DRITTES MAL, um aus dem Nichts heraus das mächtigste Artefakt in der Geschichte des Planeten einzuführen: Eine Zeitmaschine ohne Nachteile oder Einschränkungen, mit der jedes historische Ereignis nach Belieben umgeschrieben werden kann. Danach drücken wir besagtes Artefakt in die Hände von Lucius Malfoy. Todesser. Voldemort-Fanboy. Fantasy-Nazi. Der Typ, der einmal einen verbotenen Todeszauber gegen ein Kind eingesetzt hat, weil dieses ihn mit einer Socke dazu gedrängt hat, mit seinem immensen Reichtum eine neue Haushaltshilfe zu organisieren. Die Autoren versichern uns, dass diese Person besagte allmächtige Gottmaschine niemals für eigene Zwecke missbraucht hat. Das ist so dumm, dass es das ganze Stück schon dann ruinieren würde, wenn es nicht einfach nur ein halbgares Plot-Pflaster wäre, um unsere Hauptfiguren wieder zusammenzuführen.

 

8. Der Schatten über dem Original

Hier scheiden sich die Geister: Auch wenn die Prequels Anakin Skywalker zu einem weinerlichen Vollidioten gemacht haben, wird Darth Vader immer einer der ikonischsten Schurken der Filmgeschichte bleiben. Aber ein kleiner Teil von mir wird immer an „I hate sand“-Anakin denken, wenn er den schwarzen Helm sieht. Irgendwann werde ich meinen Kindern den ersten Harry Potter-Band vorlesen – und der gleiche Teil von mir wird wissen, dass wir beim traumatischen Tod von Harrys Eltern nur aus dem Fenster schauen müssen, um in der Kirche gegenüber die Köpfe von diesem erwachsenen Harry und seinem Sohn Albus Severus zu sehen, die als Zeitreisende live dabei sind.

Der gleiche Teil wird wissen, dass hinter das Finale der Reihe eine kleine Fußnote gehört: „Und sie lebten glücklich bis an ihr Lebensende bis auf dieses eine Mal wo eine Reihe wirklich dummer Sachen passierte aber zum Glück geschah niemandem was außer einem Typen namens Craig, RIP Craig“.

Ich schere mich nicht viel um ‚canon‘. Ob die Ereignisse dieses Potter-Bandes nun offiziell zur Kosmologie gehören oder nicht, sie haben ihren bleibenden Eindruck hinterlassen.

 

 

 

 

 


Erneut: Harry Potter and the Cursed Child ist kein Totalschaden. Als Jugendliteratur taugt es noch immer mehr als so mancher Schrott auf den Bestseller-Listen, weil J.K. Rowlings Händchen für clevere Dialoge und herzerwärmende Charakterisierung noch immer in den Beziehungen zwischen Eltern und Kindern durchscheint. Und die West End-Show soll dank der tollen Schauspieler wohl tatsächlich sehr gut sein, wenn man den Kritiken glauben darf. Wenn du, lieber Leser, also Vergnügen aus diesem Buch ziehen kannst, will ich dir das wirklich nicht nehmen. Meinung unverbindlich.

Wer trotz (oder gerade wegen) Verriss reinschnuppern will, kann den Band auf Amazon erwerben:

Harry Potter and the Cursed Child
Harry Potter und das verwunschene Kind

6 Gedanken zu “Wie blöd ist Harry Potter and the Cursed Child?

  1. Am liebsten würde ich den „Gefällt mir“-Button mehrfach drücken, aber das geht ja nicht 😦
    Du sprichst mir aus der Seele! Ich war so unfassbar enttäuscht von diesem Buch. Der ganze Plot wirkt auf schlechte Art zusammengekleistert und in keinster Weise rund.
    Tatsächlich fand ich auch, dass Harry Potter unter dem Medium Drama leidet. Aber noch viel viel vieeeel schlimmer fand ich Delphie. Ergab für mich keinen Sinn.
    Danke für deine tolle Zusammenfassung – ab und an muss ein Verriss einfach sein. Man muss sich den Frust von der Seele schreiben.

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  2. Es tut mir so weh, aber ich muss dir in vielen Punkten zu stimmen. Trotzdem muss man bei manchen Punkten nochmal sagen das es sich für die Bühne einfach so besser eignet, aber ja ich kann die Kritik verstehen. Trotzdem habe ich das Buch geliebt, wie Scorpius dargestellt wurde, das Albus nicht perfekt war etc etc… auch wenn es nur wie eine Fanfiktion ist und alle es zerreißen, es ist und bleibt Harry Potter und das ist nun mal mein Leben ^^‘
    -Missy

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  3. Ich habe es gar nicht erst gelesen, weil ich die Information hatte, dass es sich um das Skript zu einem Theaterstück handeln würde – und das ist gar nicht so meine Welt.

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