Anti-Sitcom von Dan Harmon.
Am 1. April wurden wir im vielleicht besten Streich dieses Jahrtausends mit einer neuen Episode Rick and Morty gesegnet. Auch ein Jahr nach diesem Beitrag ist diese hässliche Zeichentrickserie noch immer mein Lieblings-Entertainment-Dings – und die Wartezeiten sind lang. Lang genug, um mal einen Blick zurück auf die andere große Errungenschaft von Autor Dan Harmon zu blicken, der bei Rick and Morty mit seinem rasend tragikomischen Talent für große Konzepte und clevere Ideen die pure kreative Anarchie von Justin Roiland ausbalanciert. Community ist nicht minder clever, lieferte sich aber harte Guerilla-Kriege mit den Netzwerken und ist kulturell unübersetzbar, weshalb dieses Comedy-Gold hierzulande nie so recht wertgeschätzt werden konnte.
Die Serie spielt am Greendale Community College, einer faulen Ausrede von einer öffentlichen Studieneinrichtung, an der gesellschaftliche Versager – Professoren wie Studenten – angespült werden. Als der Anwalt Jeff Winger aufgrund der Fälschung seines Abschlusses gefeuert und dazu verdonnert wird, diesen hier nachzuholen, gründet der erfahrene Trickbetrüger eine Studiengruppe mit dem einzigen Ziel, der niedlichen Britta näher zu kommen. Doch aus der falschen Lerngruppe wird über kurz oder lang eine richtige Wahlfamilie von realitätsflüchtigen Außenseitern.
Ich habe meine erste Episode Big Bang Theory vor 10 Jahren bei einem Freund gesehen, der die Serie vor ihrem Start in Deutschland entdeckt hatte. Damals sahen wir zum ersten Mal Menschen wie uns als Angelpunkt einer Primetime-Sitcom: Popkulturbesessene Nerds mit den sozialen Verkrampfungen, die meist damit einhergehen. Ich fühlte mich durch die Anspielungen und dargestellten Freizeitaktivitäten, die auch mal tiefer als Star Wars schürften, verstanden. Doch die Serie wurde von Chuck Lorre auf glatte Verträglichkeit optimisiert: Es wird nicht mit den Nerds gelacht, sondern über deren verschrobene Hobbies und Sonderheiten. Und damit eben auch über uns, über mich. Sie sind Clowns, in deren überspitzten Narrentänzen für die Lachspur die Menschlichkeit verloren geht.
Community ist quasi der magnetische Gegenpol zu Big Bang Theory. Auch hier sind die Protagonisten Außenseiter und Nerds, aber sie sind eben in erster Linie Menschen, wenn auch überspitzte Versager. Neben dem charismatischen, aber von Arroganz und Geltungsdrang zerfressenen Jeff haben wir auch Britta, die in entschlossener Rechtschaffenheit vor einem ungewissen Leben nach der Schule flieht. Oder Troy und Abed, die als bromantisches Duo die weltliche Realität für ihre Eskapaden in Holo-Decks und Paralleldimensionen verlassen. Sie alle sind Loser, doch der angenehm Lachspur-freie Ton bittet uns stets, sie trotz der Überzeichnung als Personen zu begreifen. Die Beziehungen zwischen diesen Figuren sind zwar das Herz der Serie, stehen aber stets unter den abstrus-kreativen Ideen ihrer Abenteuer, wie zum Beispiel dieser einen Folge, wo unsere Helden vom Weihnachtsmusical-Fieber des Glee Clubs infiziert werden:
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Mein großes Problem mit Sitcoms ist die Monotonie und Berechenbarkeit, die im täglichen Fernsehprogramm zwar für gemütlich-vertrautes Hintergrundrauschen sorgt, im Streaming-Zeitalter aber deutlich die uninspirierte Ideenlosigkeit der Autoren offenbart. Community kontert dieses Problem durch zunehmend abgefahrene und konzeptuellere Episoden, die nicht nur das eigene, sondern auch so ziemlich jedes andere Genre auf die Schippe nehmen. Meine persönlichen Highlights umfassen…
– die Doppelfolge am Ende der zweiten Staffel, die den gesamten Campus durch ein Paintball-Spiel mit viel zu hohem Einsatz erst in einen postapokalyptischen Western und dann in Star Wars verwandelt.
– die Folgen, in denen die Gruppe gemeinsam (mit ernsten realweltlichen Konsequenzen) Dungeons & Dragons spielt oder in ein Videospiel gebeamt wird.
– die Zeichentrick- oder Claymation(!)-Folgen.
– eine Clipshow-Episode, die komplett aus Flashbacks zu Ereignissen jenseits der Kamera oder ganzen ‚verlorenen‘ Episoden besteht und dabei gleichzeitig eine versteckte Plot-Linie offenbart.
– die Doppelfolge, in welcher wir im Stil einer historischen Kriegsdokumentation einer Kissenschlacht auf dem Universitätsgelände folgen.
– die Untersuchung des Mordes an einem Biologie-Projekt, welches die Serie komplett in Law & Order verwandelt – bis hin zu Bühnenbild, Kamera, Schnitt und Dialogen. Allein wie verdammt akkurat das alles ist, ist rasend komisch:
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Auf diese Weise verwandelt sich die Show ständig, fordert sich und die Zuschauer neu heraus und setzt die Konventionen von dem, was eine Sitcom sein oder tun darf, in Flammen – bleibt dabei aber trotzdem immer ehrlich emotional, weil die Figuren alle auf ihre Weise liebenswerte, aber makelbehaftete Versager sind. Die Unvermarktbarkeit des Konzepts führte dazu, dass jede Staffel wie das Serienfinale behandelt wurde. Der Grundton der lachenden Existenzangst überträgt sich dabei auf die Leben dieser Figuren, die permanent in ulkigen Zoten am Abgrund tanzen.
Unter den Fans der Serie wird gestritten, ob die ansteigende Konzeptualität und Meta-Reflexion der späteren Staffeln eine schlechte Sache ist (einer der Charaktere kommentiert in einer dieser Folgen: „Remember when this show used to be about a community college?“), ich persönlich halte gerade diese anarchistische Ader für eine der großen Stärken ihres Schöpfers, welcher nach der dritten Staffel aufgrund seiner schwierigen Arbeitsmoral gefeuert wurde. Glücklicherweise ist Dan Harmon aufgrund des Fan-Aufschreis ab Staffel fünf wieder mit am Start – später bezeichnen seine Figuren die Ereignisse der vierten Staffel liebevoll als „the gas leak year“.
Community ist ein kaputter kleiner Diamant neben den tausend dickes-Arschloch-mit-heißer-Frau- und Sexkapaden-Sitcoms da draußen. Die antiautoritäre Energie und konstante Selbsthinterfragung machen die Show zu einem cleveren Stück Comedy, das gemeinsam mit einigen erfolgreicheren Zeitgenossen das Format vor einer Flut schlechten Fernsehens verteidigte. Die gleichen Elemente brachte Harmon mit zu Rick and Morty – bis wir im Sommer aber neue Folgen bekommen, lohnt es sich auf jeden Fall, statt zu Big Bang Theory-Wiederholungen zu Community zu greifen.
Leider kann man Community auf keinem mir bekannten Streaming-Service in Deutschland sehen, die ganze Serie gibt es aber zum kleinen Preis als DVD-Box auf Amazon:
Danke, klingt großartig, muss ich haben!
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Cool. Coolcoolcool.
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