Cyber-Meditation von Denis Villeneuve.
Eine Fortsetzung für Blade Runner (1982) klingt wie eine selten dämliche Idee. Das Original ist so ikonisch, dass es im Alleingang Look, Sound und Atmosphäre des Cyberpunk-Genres kodifiziert hat. Die gleichzeitig futuristisch-transhumanistische und urtümlich-biblische Fabel von Göttern, ihren Geschöpfen und den kaum vorhandenen Unterschied zwischen ihnen ist so zeitlos wie die genialen Bilder und sphärischen Klänge. Wenn sich also einer an einem Sequel versuchen sollte, dann muss es ein Genie mit großer Vision und noch größerer Botschaft sein. Glücklicherweise haben wir in Denis Villeneuve (Sicario, Arrival) solch ein Genie.
Drei Jahrzehnte nach dem Fall der Tyrell Corporation und einem kataklysmischen Blackout wandeln Replikanten, künstlich geschaffene Wesen, wieder unter den Menschen. Neue Nexus 9-Modelle wie K (Ryan Gosling) sind jedoch verlässlicher und verträglicher als ihre rebellischen Vorläufer, weshalb dieser als Blade Runner, als Jäger aufmüpfiger Replikanten, eingesetzt wird. Doch dann stößt er auf ein Geheimnis, dass ihn an seinem Beruf und seiner Identität zweifeln lässt.
Die Welt von Blade Runner ist gleichzeitig so ikonisch prägend und allegorisch grob skizziert, dass jeder Versuch, darin herumzupfuschen, das ganze Kartenhaus zum Einstürzen bringen könnte. Daher ist der Zeitsprung ein cleverer Kunstgriff: So kann diese Welt weiter ausgebaut und zum Schauplatz neuer Wunder und existenzieller Fragen werden, ohne am Fundament des Meisterwerks zu rütteln.
.
.
Eines sei gesagt: Der neue Blade Runner ist ein wunderschöner Film. Roger Deakins‘ Kamera fängt atemberaubende Bilder ein, die man sich alle rahmen und übers Bett hängen möchte. Und in einem Zeitalter, in dem man mit moderner Technik wirklich alles auf die Leinwand zaubern kann, schafft es dieser Film passenderweise, einige visuelle Wunderwerke zu schaffen, die man so wirklich noch nie gesehen hat. Ich kann nicht genug betonen, wie selten und bemerkenswert neue Ideen dieser Art heutzutage sind.
Besonders angetan haben es mir dabei die Szenen, in denen sich das Künstliche mit dem Organischen verwebt – buchstäblich, als sich ein virtuelles Gespenst über einen physischen Menschenkörper legt. Aber auch mit großer Symbolgewalt, wie in einer tollen Sequenz, die in einer komplett verwahrlosten Hologramm-Show spielt.
Wie schon beim Original lässt man sich dabei viel Zeit, die mal bedrückende, mal sakrale Athmosphäre auf den Zuschauer wirken zu lassen. Der Plot selbst ist wieder eine Noir-Detektivgeschichte – doch eigentlich geht es um diese Welt und die Fragen, die sie aufwirft. Und selbst, wenn man nicht für schwere Gedanken ins Kino gekommen ist, holen einen die intensiv-emotional inszenierten Bilder ab.
Ryan Gosling ist für den größten Teil ebenso wortkarg und regungslos wie sein Vorbild Deckard, umso mehr geht es einem dann an die Substanz, wenn er tatsächlich Emotionen an den Tag legt. Harrison Ford zerrt seinen dritten und letzten großen Filmhelden zurück auf die Leinwand und überrascht damit, dass ihm tatsächlich etwas daran zu liegen scheint. Einzig Jared Leto als theatralischer blinder Gott trägt ein wenig zu dick in seinen vor Symbolik überschwangeren Szenen auf, andererseits wird er deshalb auch nicht langweilig.
.
.
Im Herzen von Blade Runner pocht noch immer eine ethisch-religiöse Debatte zwischen Schöpfer und Geschöpf. Replikanten sind da nicht einmal mehr der letzte Schrei, heute geht es auch um künstliche Intelligenzen. Immer wieder wird der Zuschauer gezwungen, seinen eigenen Urteile in diesen Turing-Tests zu fällen und zu hinterfragen. Sind diese Beziehungen bedeutsam? Sind diese Wesen real und von Wert? Wo ist die Grenze zwischen Mensch und Automaton, wenn es um Trauer, Wünsche und Träume geht?
Am Ende steht aber eine vielleicht noch größere Botschaft von Erinnerung und Vermächtnis, Vorsehung und freiem Willen – und schließlich um die Macht des Geschichtenerzählens. Da sagt eine Schlüsselfigur, dass immer ein Stück des Autors in seinen Werken steckt – und dieses Werk handelt davon, wie wir alle aus einem Flickenteppich von Erinnerungen und Bestimmungen bestehen, welcher zu gleichen Teilen aus harter Realität und flüchtiger Fiktion gewoben ist. Am Ende ist es gleich, wie unnahbar und bedeutsam das Vermächtnis unserer Vorgänger ist – auch ohne Anspruch auf die göttliche Thronfolge können wir Sterbliche unsere eigenen Wunder schaffen.
Wunder wie der Film Blade Runner 2049, der nicht einfach nur ein würdiges Sequel zum Sci Fi-Klassiker, sondern ein bedeutsames Testament voll Erfindergeist und großer Gedanken ist.
Sehr gute Review!
Konnte es auch garnicht glauben, dass ein Sequel nach so vielen Jahren tatsächlich funktionieren kann : )
LikeLike
Sehr interessant, das zu lesen. Ich war ziemlich skeptisch, als ich von der Sequel hörte.
LikeLike
Ich fand den Film klasse! Und bin nun endgültig ein Fan von Ryan Gosling, er spielt gnadenlos gut. Die Story….na ja, aber, wie du geschrieben hast, die Bilder machen es wett.
LikeLike