Coming of Age-Adventure von Alec Holowka & Scott Benson
für so ziemlich jede Plattform.
Die dank Steam und Kickstarter boomende Indie-Branche bringt zwischen all den Zombiemord-Schlachtplatten auch gelegentlich eine Perle hervor, die man so gar nicht vom Medium Videospiel erwartet: Wie zum Beispiel Night in the Woods, ein hübsch aufgemachtes Adventure über eine Gruppe von Twens, die sich mit ihrer heruntergewirtschafteten Kleinstadt, okkulten Mysterien und ihrer Selbstfindung herumschlagen müssen.
Mae hat’s verbockt. Nachdem ihre Familie einiges aufgegeben hat, um ihre Tochter in ein Großstadt-College zu schicken, hat sie ihr Studium abgebrochen und kehrt nun mit nichts als Scham ins Elternhaus zurück. Während ihr Leben eine emotionales Riesenrad war, scheint die Kleinstadt Possum Springs in der Zeit gefroren zu sein: Katatonische Melancholie liegt wie eine kratzige, alles erstickende Wolldecke über dem Kaff. Einzig Maes ehemalige Schulfreunde bieten ihr ein wenig Wärme. Doch auch die schuften an den Kassen belangloser Geschäfte, ohne jede Perspektive, dass sie jemals mehr von ihrem Leben erwarten können. Aber tief unter Possum Springs schlummert ein dunkles Geheimnis… oder sind diese sonderbaren Erscheinungen doch nur Produkte von Maes angeknackstem Kopf?
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Es ist dein frühen Erfolgen der Branche und dem gezielten Marketing an pubertierende Jungs zu verdanken, dass Videospiele für die längsten Jahre größtenteils Macht- und Mordsimulatoren waren. Night in the Woods ist – bis auf spärliche Timing-basierte Minispiele wie Bandproben oder Ladendiebstahl – eigentlich ein Visual Novel. Es hat mehr Ähnlichkeit mit diesen japanischen Dating-Spielen als mit den Platformern, an welche die bunte Aufmachung erinnert.
Jeden Morgen frühen Nachmittag wacht Mae im elterlichen Haus auf, redet kurz mit ihrer Mama über das Leben und erforscht dann die Straßen der Kleinstadt – ihre Freunde arbeiten nämlich noch. Erst abends kann sie sich dann mit ihnen treffen, um gemeinsame Abenteuer zu erleben: Ein Besuch in der Mall oder ein gepflegter Messerkampf im Wald zum Beispiel. Mae hat schrullige Freunde.
Der Fortschritt im Spiel ist dann eben auch nicht an Level-ups oder Collectibles gebunden, sondern daran, wie viel man über Mae und ihre Familie, Freunde oder Possum Springs erfährt. Denn sie alle enthalten Welten voller Spaß, Trauer und Geheimnisse. Dabei überrascht das Spiel immer wieder mit emotionalen Achterbahnfahrten, bei denen man nach Kavaliersdelikt-Abenteuern auf einmal in emotionale Gespräche über Lebebsperspektiven, Freundschaft und Träume gerät.
Besonders gut gelungen ist dabei die Charakterisierung der zynischen, aber herzensguten Bea, des bipolar-hyperaktiven Gregg und seinem grundsoliden Kuschelbären Angus. Aber auch Mae ist kein unbeschriebenes Blatt: Zwar kann der Spieler regelmäßig Entscheidungen darüber treffen, mit wem sie ihre Abenteuer erlebt und was sie sagt, doch wird sie immer sie selbst sein. Mitunter frustriert das, weil man nach mehreren Spieltagen einen Knopf sucht, der sie einen Job suchen lässt. Oder einen, der dafür sorgt, dass sie auf Parties nicht sich selbst und ihre Freunde mit ihrer sozialen Unsicherheit blamiert. Aber genau dieser Mangel an Optionen macht Mae zu einem starken Charakter, den man erst nach und nach mit all seinen Macken zu verstehen lernt.
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Mae und ihre Freunde sind abenteuerlustige und kreative Kids, die von der Gesellschaft um sie herum zu Grunde gezogen werden – und da wird Night in the Woods auf einmal sehr politisch. Denn eigentlich handelt es sich um eine Charakterstudie einer neuen Generation, die in den Kleinstädten des amerikanischen Rust Belt aufwachsen. In Minenstädten wie Possum Springs, in denen die frustrierte Bevölkerung systematisch ausgebeutet und von Politikern mit großen Versprechungen ausgenutzt wird, auch wenn diese genau wissen, dass die Zukunft keinen Platz für die Bergwerker und Fabrikarbeiter kennt.
Ein Mikrokosmos, der die Erwachsenen zu kraftloser Wut und die Kinder zu Flucht oder langsamer Stagnation zwingt. So wird das Setting des Spiels zur deutlichen Kernaussage, die mit einer direkten, aber starken Metapher auch zum Ende des Twin Peaks meets Lovecraft-Mystery-Plots quasi ins Gesicht des Spielers springt: Der amerikanische Traum ist ein grässlicher Wiedergänger, der von alten weißen Kapitalisten mit den Leben von aufgeweckten jungen Menschen am Unleben gehalten wird.
Wer selber aus einem Kaff kommt, wird sich gut mit Maes Frustrationen über ihre Umwelt auskennen. Aber auch mich Großstädter hat sie das ein oder andere Mal dazu gebracht, einen Moment durchschaufen zu müssen, bevor ich den Controller wieder in die Hand nehme. Die Ängste davor, erwachsen zu werden, oder aber auch von den Erwachsenen überholt und zurückgelassen zu werden, kommen bestimmt vielen Mitgliedern meiner Generation bekannt vor. Am Ende steht kein großer Durchbruch, keine Wunscherfüllung – nur das versprechen, dass man sich mit guten Freunden und einer gesunden Einstellungen auch nach dem tiefsten Fall irgendwie wieder aufgerappelt bekommt.
Danke, das werde ich mir auf jeden Fall anschauen!
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