Luke Cage

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Superhelden-Gangsterdrama von Cheo Hodari Coker.

Der Comic-Held Luke Cage – Power Man – ist ein Produkt der Blaxploitation-Szene der 70er, ein cooler schwarzer Draufgänger mit Afro und Attitüde. Luke Cage der Serienstar, wie er zuerst im letzten Jahr in Marvels Jessica Jones (ebenfalls auf Netflix) zu sehen war, ist ein Produkt der Moderne: Ein Held wider Willen, der gegen die Ungerechtigkeit in seiner Heimat Harlem auf die Straße geht. Nicht umsonst ist sein Kostüm nicht mehr knallig gelb und vom Motiv gesprengter Ketten durchsetzt – vielmehr verkörpert er die heroische Seite des in der ‚Black Lives Matter‘-Debatte heftig umstrittenen ‚Black Man in a Hoodie‘.

Diese neue Inkarnation von Luke Cage (Mike Colter) ist nicht nur wichtig, sondern überfällig. Ein cooler, starker, sexy Held, der aufsteht, um Ungerechtigkeiten zu bekämpfen, die im Maßstab viel kleiner als Alien-Invasionen oder Superroboter sind – aber gerade dadurch umso realer. Im Kampf gegen die großen und kleinen Verbrecher der Stadt greift der unzerstörbare und superstarke Luke trotz seiner Kräfte nur im Ausnahmefall auf bloße Gewalt zurück – was die Action umso kathartischer macht, wenn sie dann explodiert.

Dabei zitiert der Superheld seine Wurzeln, nicht nur aus den Blaxploitation- (eine Shaft-Anspielung fällt bereits in der ersten Szene) und Martial Arts-Streifen der 70er, sondern auch aus der Hip Hop-Kultur seiner Heimat. Der großartige Original-Soundtrack ist mindestens genau so smooth wie der Protagonist, während die zahlreichen alten und neuen Rap- und R&B-Titel, die teils im Hintergrund, teils diegetisch im Nachtclub gespielt werden, einen musikalischen Einblick in die Seele der Parallelwelt Harlem bieten. Trotz dieser Verneigung vor den Vorbildern verfällt Luke Cage aber niemals in die negativen Stereotypen, denen Crime-Serien und Action-Streifen heutzutage schnell erliegen.

Die Figuren sind vielmehr identitätspolitisch angepasste Charaktere aus dem Seventies-Baukasten: Die Ladies sind foxy, die Bösewichte exzentrisch, die One-Liner cool. Gleichzeitig wird aber auch an diesen Stereotypen gesägt, wenn besagte Ladies ihrerseits dem Protagonisten den Arsch retten und nur die Augen über seine angestaubten Anmachsprüche rollen.

Wenn hier irgendjemand den Gangsta Rap-Klischees entspricht, dann sind es die fehlgeleiteten Kids, die sich selbst auf ihrer Suche nach Geld und Street Cred umgebracht bekommen. Nicht von ungefähr sehen wir den Schurken Cottonmouth jedoch vor einem Bild von Hip Hop-Märtyrer Biggie posieren (Coker schrieb auch für das Biopic Notorious B.I.G.): Der Dialog zwischen den prahlerischen Träumen von Geld, Macht und Sex und der harten Realität der auseinandergerissenen Familien auf der Straße ist ein wichtiges Thema für Luke Cage, welches hier erstaunlich erwachsen und reflektiert behandelt wird.
 

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Es wäre so einfach und publikumswirksam gewesen, Luke Cage gegen einen korrupten weißen Bullen kämpfen zu lassen. Doch die Konflikte im Zentrum der Serie sind – für eine Superhelden-Geschichte – erstaunlich nuanciert: Der Kampf in Harlem wird nicht zwischen schwarz und weiß, sondern zwischen arm und reich, zwischen Gemeinschaft und persönlicher Macht, zwischen Gesetz und Gerechtigkeit ausgetragen. Wie im echten Leben ist die Polizei von Harlem genau so bunt, ehr- und fehlbar wie der Rest der Bewohner. Obwohl Luke Cage unverwundbar ist, kann er diese Konflikte nicht einfach mit roher Gewalt lösen: Er verstrickt sich in verzerrten Helden- und Feindbildern, weil er eben nicht gegen Superschurken, sondern gegen die systemischen Ungerechtigkeiten seiner Heimat kämpft.

Das Cast ist dabei die größte Stärke der Serie. Während ich nach dem angenehm kurzen Ritt von Stranger Things ein wenig missmutig über die Länge dieser 13 Folgen war, formte gerade die Zeit, die wir nicht mit Geballer und Geprügel verbringen, ein angenehm komplexes Bild der wechselseitigen Beziehungen zwischen den Bewohnern dieser Welt: Auf beiden Seiten des Gesetzes gibt es komplizierte Figuren, die loyal oder käuflich, gierig oder von hehren Idealen geleitet sind. Am Ende hoffen wir, dass sowohl der moralisch fragwürdige aber irgendwie auch sympathische Schurken-Handlanger als auch die harte aber rechtschaffene Polizistin mit dem Leben davonkommen. Ob Gangster oder Cop, Mann oder Frau, schwarz oder weiß, am Ende des Tages begreifen wir all diese Figuren in ihrem menschlichen Facettenreichtum.

Im Endeffekt zeichnet sich Luke Cage also vor allem durch seine Menschlichkeit, seine Nähe zu einer diffusen Realität, in der gerechte Volksbewegungen von persönlichen Agendas zerfressen werden, aus. Dabei steht am Ende kein großes politisches Statement: Nur eine Erinnerung daran, dass der Einzelne inmitten all des Lärms dieses Kreislaufs der Gewalt noch immer die Möglichkeit hat, das Richtige zu tun. Der Vergleich zu Spike Lees Do the Right Thing (1989) kommt nicht von ungefähr. Während damals „Fight the Power“ von Public Enemy die Stimmung auf den Straßen auf den Punkt brachte, ist es heute Wu-Tang-Legende Method Man, der das Symbol Luke Cage treffend zusammenfasst:

“ You know, there’s something powerful about seeing a black man that’s bulletproof and unafraid.“


Die 13 Folgen von Luke Cage gibt es auf Netflix zu sehen. Dabei muss man nicht vorher Daredevil und Jessica Jones geschaut haben, bekommt aber ein paar nette kleine Anspielungen serviert, wenn man es tut.

8 Gedanken zu “Luke Cage

  1. featherandsword

    Sehr schöner Post, vielen Dank! Macht Lust darauf die Serie zu sehen. Verglichen mit Jessica Jones, ist die Serie eher düsterer oder etwas leichtere Kost?
    Viele Grüße
    Michael

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    1. Danke für die Blumen. Für mich persönlich wird Jessica Jones noch eine ganze Weile die düsterste Marvel-Serie bleiben, da sie ziemlich explizit sexuelle Gewalt und brutale Eingriffe in die menschliche Psyche behandelt. Gewalt ist in Luke Cage natürlich vertreten (und nicht gerade was für Kinderaugen), aber eher in der Form, wie wir sie aus jedem Krimi oder Actionfilm kennen – da der Hauptcharakter unverwundbar ist, wird im Endeffekt natürlich weniger Blut vergossen. 😉

      Dennoch ist Luke Cage auch düster, aber eher in der Darstellung einer verfahrenen sozialpolitischen Situation in einem Teil der Stadt, wo junge Kids mit Knarren auf die Straße laufen, um ihren Idolen und Vätern nachzueifern – und wo dein Boss dich einfach abknallt, wenn du aus der Reihe tanzt.

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      1. featherandsword

        Danke dir für die Erläuterung. Hm, dann muss ich da wohl mal wenigstens die ersten paar Folgen gucken, klingt eigentlich, als müsste es mir gefallen.

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  2. Schöne Zusammenfassung, trifft den Kern der Serie auf den Punkt.

    Mir hat der ganze Erzählstil besonders gut gefallen. Kein sinnloser Fokus auf Nebensächlichkeiten, die die Story nicht voran bringen (aka überzogene Sexszenen – die eine die war, bildete einen interessanten Kontrast zu denen in Jessica Jones – oder endlos lange Kampfszenen, etc.). Alles was gesagt/gezeigt wurde kam genau auf den Punkt, ohne große Umwege. Fand/Find ich großartig.
    Erstaunlich fand ich auch, dass man im Gegensatz zu anderen Serien hier die weißen Charaktere suchen musste und selbst die waren nicht unbedingt das was die Amis als „Caucasian“ bezeichnen. Das war definitiv ungewohnt (und ein wenig fragte ich mich dann auch, wie die Demographie in Harlem tatsächlich aussieht), aber umso erfrischender. Das zeigt definitiv, dass in dieser Richtung noch wesentlich mehr gemacht werden muss, um das ganze Talent der Schauspieler mal richtig zur Schau zu stellen. Es war auch sehr irritierend den Cottonmouth-Schauspieler in einer „Bösewicht“ Rolle zu sehen, ich kannte ihn vorher nur aus 4400 – Die Rückkehrer, wo er doch eher einer der „Guten“ war – wobei du ja schon so schön gesagt hast: Selbst mit den „Bösen“ sympathisierte man. Shades fand ich besonders faszinierend, selbst nach der Serie, weiß man eigentlich immer noch nicht, was genau sein Endgame eigentlich ist. Diamondback hingegen fand ich schon fast wieder zu überzogen und klischeehaft, wobei auch er seine Daseinsberechtigung hatte…

    Als Metalhead kann ich mit R&B und Hip Hop nicht sonderlich viel anfangen und hab daher auch diverse Anspielungen nicht verstanden, aber es passt perfekt zur Geschichte. Was auch schwierig zu verstehen war, waren die Akzente der Figuren, ich hab die ganze Serie mit Untertiteln geschaut um sicherzugehen, dass ich Sachen richtig verstanden hab.

    Das einzige was ich vermisst habe, waren irgendwie Sprüche zum Hulk, der ja selbst zu seinem vorletzten Aufenthalt in New York gesagt hat: „I kind of broke Harlem“ – Der andere wurde mehrfach erwähnt, aber darüber hat keiner ein Wort verloren…

    Kurzfassung: Erzählstil und Figuren haben sie hier einfach großartig hinbekommen.

    Für mich selbst hab ich beim Schauen (auf Twitter) schon zusammengefasst:
    „Probably a great show: Daredevil’s theme song, JessicaJones‘ diversity & LukeCage’s storytelling.“

    Sollte sich definitiv mal einer dran setzen oder kennst was in die Richtung schon? 😉

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    1. Der ethnische Cocktail scheint eine ziemlich akkurate Darstellung von Harlem zu sein: Laut dem US Census Bureau (2015) sind tatsächlich nur 11,7% der Bewohner Weißbrote. Dementsprechend dankbar bin ich aber auch dafür, dass in Luke Cage Taten – und nicht Hautfarbe – die Charaktere definieren, ohne dass die tiefen Black Culture-Wurzeln, aus denen sich der Stadtteil nährt, ignoriert werden. Während Hollywood um solche Themenkomplexe gerne einen holprigen Eiertanz aufführt, ist das in dieser Serie alles sehr organisch und selbstverständlich.

      Ich kannte Mahershala Ali (Cottonmouth) nicht aus 4400, sondern aus House of Cards, wo er in einer ebenfalls völlig anderen Rolle zu sehen war – während das hier von Theo Rossi (Shades) demonstrierte Talent völlig an Sons of Anarchy verschwendet war.

      Gut aufgepasst, was den Hulk angeht – eines meiner liebsten Hintergrund-Details in dieser Serie waren die Jungs, die Bootleg-Aufnahmen von Avengers-Kämpfen verkaufen.

      Auch wenn es die von dir beschriebene Serie so wohl noch nicht gibt, kann man ja hoffen, dass sie gerade produziert wird und entweder ‚Iron Fist‘ (Trailer gerade erschienen) oder ‚Defenders‘ heißt. 😉

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      1. Dem ersten Teil kann ich nur zustimmen und danke für die Info. 🙂

        House of Cards und Sons of Anarchy hab ich noch nicht geschafft zu schauen. Rossi kommt mir zwar irgendwie bekannt vor, aber selbst durch IMDB konnte ich nicht sagen, wo ich ihn schon mal gesehen hab…

        Oh ja, die Jungs waren lustig – auch wenn ich wie gesagt Bootleg vom Hulk genauso interessant gefunden hätte, war aber vermutlich zu dem Zeitpunkt schon Schnee von gestern.

        Ja das hatte ich befürchtet, dass es sowas noch nicht gibt…wollen wir’s hoffen, dass sie sich ein Beispiel an ihren vorherigen Serien nehmen und deren Qualitäten spätestens bei den Defenders kombinieren. 😉

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  3. Pingback: What’cha Watching Wednesday #13 | Random PoiSon

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