X-Men: Apocalypse

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Jüngstes Superhelden-Gericht von Bryan Singer.

Die X-Men-Filme sind ein ulkiges Tier: Einerseits war der erste Teil (2000) dem heutigen Superhelden-Hype voraus, andererseits ist das damit am längsten laufende Capekino-Franchise auch von einigen ziemlich miserablen Einträgen gebeutelt. Seit dem Zeitsprung in die jüngere Variante des Teams in X-Men: First Class (2011) und dem damit verbundenen Wiedereinstieg von Chef-Cerebro Bryan Singer liegt man wieder auf stabilem Kurs, hat aber ein neues Problem, welches ausgerechnet Deadpool in seinem eigenen Film so treffend auf den Punkt gebracht hat:

McAvoy or Stewart? These timelines are confusing.

Die Comic-Vorlage Age of Apocalypse spielt selbst in einer alternativen Zeitlinie, in der die etablierten Charaktere zusammen mit einem Haufen neuer Rekruten neu eingeführt werden – und damit haben wir jetzt mehr oder weniger den kritischen Punkt erreicht, an dem die Film-Kontinuität fast so komplex und verwirrend ist wie die der Comics. Aber taugt der neue Film jetzt auch allein was oder ist die Kiste wirklich nur noch was für die Straight-X-Geeks?

In einer visuell beeindruckend inszenierten Eröffnungssequenz im alten Ägypten wird uns der erste Mutant und Gottkönig En Sabah Nur (sein sehr viel fetzigerer Kampfname dient als Filmtitel) vorgestellt, der nach seiner Zeitreise in die 1980er – der langsame Weg – aufersteht, um die Welt erneut zu unterjochen. Da die nicht-mutierte Zivilisation einem Schurken seines Kalibers nur wenig entgegenzusetzen hat, liegt es an den noch immer relativ frischen X-Men, ihn irgendwie aufzuhalten. Doch Apocalypse rekrutiert indes seine Reiter…

Bei der Lektüre der Comics aus den 90ern, die hier Modell standen, wird einem schnell klar, dass der schlagende Verkaufspunkt der X-Men die schiere Menge an Charakteren ist, die sich in bunten Bildern ihre kreativen Superkräfte um die Ohren schießen. Singers Kino-Universum kann das mittlerweile ziemlich gut abziehen: In Apocalypse sind über ein Dutzend Mutanten unterwegs, die alle ihre eigenen Fähigkeiten und Problemchen haben. Dabei handelt es sich nicht nur um die Kollegen aus den letzten beiden Filmen, sondern auch um neue alte Bekannte: Cyclops, Jean Grey, Storm, Angel und Nightcrawler bekommen allesamt eine Einführung in die neue Timeline. Das funktioniert trotz der Vielzahl überraschend gut, da wir die Figuren alle schon in der einen oder anderen Form kennen und die neuen Origin Stories organisch in die Handlung eingeflochten werden. Tatsächlich findet das Skript sogar trotzdem den Platz, diesen Charakteren mehr Tiefe und Charme zu geben, als sie in der Original-Trilogie je hatten: Scott und Jean bonden als ausgestoßene Teenager mehr, als man es ihren erwachsenen Versionen je abgekauft hat, und sogar der zarte Schönling Angel wird auf einmal zu einem coolen Schaukämpfer im Ostberliner Untergrund samt einem Fimmel für 80ies-Metallica.

Aber natürlich bekommen auch die bereits etablierten Figuren ihre Charaktermomente: Der sonst so überschlaue Charles Xavier (James McAvoy) verliert all sein Cool bei dem Versuch, mit der Frau seiner Träume zu reden. Magneto (Michael Fassbender), der einfach nur seinen Frieden haben wollte, wird brutal wachgerüttelt. Mystique (Jennifer Lawrence) kommt mit ihrem Heldenruhm nicht zurecht. Und dann wäre da noch Quicksilver (Evan Peters), der es irgendwie schafft, gleichzeitig quirlig und lässig zu sein – und auf seinen mittlerweile legendären Showstopper-Auftritt in Days of Future Past (2014) nochmal ne Schippe draufzulegen. Zu den sweeten Disco-Beats der Eurythmics. In einem Rush-Shirt. Ab diesem Punkt versucht der Film doch wirklich nur noch, sich bei mir einzuschleimen.

 

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Diese riesige Szene symbolisiert ganz wundervoll, was die X-Men so klasse macht: Obwohl der Einsatz nie so hoch war, nimmt sich Singer – ganz ähnlich wie sein Quicksilver – immer die nötige Zeit für ein wenig Slapstick oder einen cleveren Gag. Gerade die charmante neue Inkarnation von Nightcrawler (Kodi Smit-McPhee) sorgt für eine überraschend hohe Anzahl Lacher, wenn man den düsteren Plot so betrachtet. Bei allem Ernst vergisst man nie, dass es hier um Comics geht – und dazu gehören neben den harten Typen eben auch die kleinen Gags, die quietschbunten Charakterdesigns und das selbstreflexive Augenzwinkern. Und es gibt sogar einen kleinen, angenehm unverschämten Seitenhieb auf The Last Stand – den X-Men-Film, der so kacke war, dass Papa zurückkommen und das Universum resetten musste.

Tatsächlich ist das Problem dieses Films, dass bei den vielen Interaktionen zwischen den X-Men unserem Bösewicht Apocalypse kaum noch Zeit bleibt, bösewichtige Dinge zu tun: Seine Zerstörung erfolgt auf einem so massiven Maßstab, dass wir Großstädte und -mächte zerbersten sehen. Einzelschicksale oder einen wirklich persönlichen Verlust bekommen wir jedoch nicht zu Gesicht. Durch seinen Auftritt als Handlanger wird Magneto auch gezwungen, zweite Geige zu spielen – was für den Charakter zwar durchaus spannend ist, den Film jedoch der tollen Dialoge zwischen ihm und Charles beraubt, die die vorherigen Teile der Reihe so wesentlich getrieben haben. Andererseits bilden beide Mankos zusammen ein interessantes Kontrastprogramm zu dem restlichen Superheldenkino der Saison, welche bislang unter dem Motto „Bruderkriege und zivile Opfer“ verlief.

Ich habe eigentlich keinen Bock, diesen Film jetzt mit Civil War oder Batman v Superman vergleichen zu müssen, weil die drei Filme doch sehr unterschiedliche Biester sind: Über die Marvel-DNA teilen sich die X-Men den Humor und die schiere Menge an Figuren mit den Avengers, auch wenn letztere durch das große Cinematic Universe von Disney natürlich den Luxus einer tieferen Charakterisierung und letztendlich den höheren Kult-Faktor haben. Aber während die Russo-Brüder ihre fliegenden Gott-Roboter und zaubernden Hexen visuell in grauem Asphalt zu erden versuchen, umarmt Singer den glorreichen Kitsch seiner Lieblingscomics – und lässt seine Bilder in einem kunterbunten Finale gipfeln, in dem alle Register gezogen werden.

Die X-Men müssen sich in dieser Inkarnation wirklich nicht hinter der Konkurrenz verstecken – trotzdem war unser Kino für den Premierentag erschreckend leer. Hat das Publikum dieses Jahr schon die empfohlene Dosis Superhelden-Krachbumm gesehen? Bleiben die Sitze auch bei Suicide Squad oder Doctor Strange unverkauft? Ich für meinen Teil drücke Bryan Singer und seinen Kollegen in jedem Fall die Daumen, auf dass sie noch eine Weile lang so gute Filme mit meinen Lieblings-Spielzeugmännern drin drehen mögen.

5 Gedanken zu “X-Men: Apocalypse

  1. Ich mochte den neuen Film. Turner war als Miss Marvel auch fast genauso nervend wie ihre Comicvorlage und der übrige Cast hat seine Rollen toll gespielt. Auch, dass Quicksilver endlich einen größeren Part bekommen hat fand ich super.

    Was die Timeline angeht: Man kann ja Abweichungen von der normalen Timeline immer toll durch Days of futur past erklären und Ungereimtheiten aus der alten Triologie einfach überschreiben. Vielleicht finden sie in einem der nächsten Teile noch einmal Logan und retten ihn zur Abwechslung…

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  2. Ich glaube das allein schon Benedict Cumberbatch die Zuschauer in die Kinos locken wird, ohne ihn hätte ich mir wahrscheinlich auch nicht den zweiten neuen Stark Trek angesehen. Der Trailer verspricht einen guten Film.

    „Days of Future Past“ war mitunter der beste Film aus der X-Men Reihe, nur leider hat mich der Trailer zu „Apocalypse“ nichts so angesprochen das ich ins Kino gehen möchte. Gerne später bei Amazon für 3.99€ gemütlich auf dem Sofa a la Avengers: Age of Ultron.

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  3. Pingback: Kritik: X-Men – Apocalypse | filmexe

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